Leni schrieb:
Da du ja nachweislich ein extrem gutes Wissen über Ausssaat besitzt , wenn nicht sogar das Beste, ....
Guten Abend, Leni,
das löschen wir jetzt schön raus, ich bin gerne einer unter vielen, es hinterlässt kein gutes Gefühl, hinaufgehoben zu werden, das Fallen wäre so tief.
Leni schrieb:... was empfiehlst du unseren Usern, die das erste mal eine Flasche erwerben wollen, was sie machen sollen.
Oder besser gesagt: Vom Flaschenkauf bis zur wachsenden etablierten Jungpflanze, was ist aus deiner Sicht das Beste zu tun?
LG
Leni
Das hängt sehr von der Gattung ab. Wie Andrea bereits andeutete, eignen sich Phalaenopsis vorzüglich für den Beginn, um es einmal mit Flaschenware zu probieren, aber auch viele Dendrobien, Oncidien, Polystachyae, … die Liste wäre lange. Dazu und um es Euch Kultivateuren leichter zu machen, ist aber auch eine gute Qualität in-vitro notwendig. Das bedingt einmal die Samenqualität und wenn´s ein out-cross ist, dann bedeutet dies zumeist auch schon mal eine gute Basis in Richtung deutlicher Streuung der Sämlinge (klonale Diversität), was auch Faktoren wie Wüchsigkeit, Resistenz oder auch Blüh- und Vermehrungsbereitschaft betrifft.
Die Aufgabe eines Labors ist nicht das schnelle, aber das behutsame Aufziehen von Sämlingen.
a) Sehr zügig gelingt die Aufzucht mit gewissen Zusätzen, Hormonen, Hilfsstoffen (Phyto-Doping), die entweder pflanzeneigene Stoffe ersetzen oder imitieren -> und damit der Pflanze signalisieren, dass sie in der eigenen Hormonproduktion runterfahren kann, da sie diese Wuchsstoffe ausreichend oder sogar überreichlich exogen (von außen) ersetzt bekommt. Dies kann dann dazu führen, dass der Sämling in-vitro gigantisch dasteht, optisch einem A. Schwarzenegger gleicht, aber kaum deflaskiert zusammenfällt wie ein schwaches Hendl (Huhn). Im besten Fall noch überlebt der Sämling, wird sich aber lange schwer tun, überhaupt in einen Wachstumsrhythmus hineinzukommen.
b) ein oftmaliges Umlegen kostet Zeit, Geld, fordert Platz, schmälert die wirtschaftliche Rentabilität ... und ist doch so vorteilhaft, weil es Medien gibt, mit denen sich Sämlinge in-vitro gut steuern lassen. Man kann vom Sämling über das Medium alternierend mehr Wurzelproduktion, Längenwachstum, vegetative Teilung, Stillstand im Wachstum, ... bis hin zu einer frühen Blüte *einfordern*. Und der Sämling wird im Regelfall gehorchen oder er wird aussortiert. Ist der Sämling in-vitro ein Taugenichts, wird er es auch ex-vitro bleiben.
c) Einmal mehr ist beim Sämling die Größe nicht entscheidend, sondern das Verhältnis Photosynthesefläche zu Wurzelmasse. Üppige Blattmasse wirkt zwar attraktiv, aber wenn deflaskiert vergilben die Blätter schnell oder sind anfällig für verschiedene Krankheiten. Zumeist, gerade bei großen, langen Blättern in-vitro, fällt der Gewebedruck zusammen und die schönste Pflanze in-vitro wirkt Stunden nach dem Deflask wie ein alter Salat. Dann ist es vorteilhaft, die Blätter einzukürzen. Das halten Sämlinge aus, ist für sie im Regelfall kein Problem, wenn man möglichst keimfrei und gewebeschonend umgeht.
d) Fungizidbad ... 99% der Sämlinge, die direkt einer Flasche oder einem Becher entnommen werden, haben die zweifelhafte Ehre, unverzüglich in ein lauwarmes Fungizidbad zu gelangen, um den Freischwimmerausweis zu erhalten. Das einzige, dem das hilft, ist
nicht dem nun im Fungizid schwimmenden Sämling, sondern es stärkt ausschließlich das Bewusstsein des
Orchideenliebhabers, nun etwas
sehr Hilfreiches getan zu haben. Das erscheint mir wichtig, näher zu beleuchten:
Geht man davon aus, dass Fungizide mehrheitlich Fungostatika sind und damit gerade mal nur das Pilzwachstum für eine kurze Zeit hemmen, den Pilz aber nicht zerstören, ist eine Fungizidbehandlung frisch entnommener Sämlinge aus dieser Überlegung heraus bereits ... sinnlos. Darüberhinaus kommt der Sämling aus einem keimfreien Milieu, was sollte jetzt mit einem Fungizid behandelt werden? Da is´ ja nix !! Fungizide haben
keine Langzeitwirkung, hingegen sind Fungizide wie Saprol, Physan, ... aggressiv gegen Pflanzenzellmembranen. Es (zer)stört also mehr als es wirkt. Probiert es beim Deflaskieren mal ohne chemischer Keule, der Sämling wird es Euch danken. Sauberes Arbeiten, saubere Kultur sind wesentlich, das erzielt man aber nicht ausschließlich über die Chemie.
e) Wenn man Sämlinge in-vitro erhält und man möchte sie deflaskieren, dann ist zunächst mal Verhaltenheit und Geduld angesagt. Deckel leicht aufschrauben oder Becherdeckel einseitig öffnen, am besten in einem von Haus aus keimarmen Areal (also nicht in einer Vitrine, nicht im GWH) platzieren und dann die Sämlinge für ein paar Tage vergessen. Der nun entstehende Luftaustausch lässt die Luftfeuchtigkeit im sterilen Gefäß sinken. Damit lernt der Sämling das 1. Mal etwas, was er bisher noch nie tun musste, nämlich die Spaltöffnungen an den Blättern zu schließen, um ein Austrocknen des Gewebes zu verhindern. Offene Spaltöffnungen an den Blättern gepaart mit aggressiven Keimen = höchstes Risiko der Infektion und schließlich des Verlustes der Pflanze.
Sollte in dieser Vorphase der weiteren Betreuung des Sämlings eine Kontamination auftreten, dann ist das a) häufig bis logisch und b) nicht dramatisch. Der Sämling muss lernen sich mit der nat. Keimflora auseinanderzusetzen.
Nach ca. 1 Woche nimmt man den Deckel ganz weg und wäscht den Sämling gründlich, befreit ihn von Mediumresten, die zumeist als sehr zuckerhaltig einen idealen Boden für die Vermehrung von Pilzen und Bakterien bilden. Das Reinigen sollte gerade bei haarigen Wurzeln (Paphs, Chysis, Disa, ...) mit einem weichen Pinsel unterstützt werden.
f) Mykotropes Verhalten, was sich in vielen Köpfen der Orchideenliebhaber noch nicht durchgesetzt hat ist, dass eine Mykorrhiza nicht nur bei der nat. Vermehrung von Orchideen eine Rolle spielt, sondern auch in sonstigen Lebensphasen der Orchidee wichtig zu sein scheint, wenn es auch eine Symbiose ist, von der man heute nur weiß, dass man nichts weiß.
Das bedeutet, eine Keimbesiedelung ex-vitro ist nicht nur unumgänglich, sondern auch
höchst notwendig. Fragt sich nur, welche Keime kommen heran und besetzen die Pflanze, überziehen sie mit einem unsichtbaren Belag. Sind es a-pathogene Keime, niederpathogene oder gar höchst (phyto)pathogene Pilze und Bakterien, welche die Ehre haben, als erstes die besten Plätze auf der Pflanze zu besetzen. Der Grundsatz gilt, was als erstes an der Pflanze andockt, reguliert ihr Weiterkommen (oder auch ihren Untergang).
Auch hier gilt, dass ein initiales Fungizidbad eher kontraproduktiv wirkt, weil Fungizide auf a-pathogene und niederpathogene Pilze viel effizienter und damit eliminierender wirken als auf höherpathogene Pilze. Das Resultat ist somit oft genau das Gegenteilige vom erwünschten Vorhaben, man eliminiert die nützlichen und harmlosen Keime verschiebt das Verhältnis nicht erfasster Keime eher in Richtung Pathogenität. Auch ein taufrisch neugeborenes Baby gelangt doch nicht unmittelbar nach der Geburt in ein Fungizidbad und es wird im Regelfall auch nicht mit Antibiotika abgefüllt. Nein, denn man vertraut darauf, dass sich auf der Haut des Babys möglichst schnell die
natürliche und so wichtige Keimflora ausbildet, die eine protektive Wirkung gegen höherpathogene Keime hat.
g) Idealerweise (aber nur selten durchgeführt) werden Sämlinge im letzten in-vitro Stadium mit Mykorrhizapilzen absichtlich beimpft. Damit hätten sie (Konjunktiv !) bereits einen optimalen Schutz. Dies wird deswegen selten durchgeführt, weil „kontaminierte Becher“ im Regelfall auf den Kunden so attraktiv wirken und sich in etwa so gut verkaufen lassen wie eine schimmlige Semmel. In unserem Labor verwenden wir 2 Keime, mit denen wir gerne
absichtlich Sämlinge kontaminieren. Einen Mykorrhizapilz und ein Bakterium (Methylobakterium extorquens). In Versuchen hat sich herausgestellt, dass dieserart vor-kontaminierte Sämlinge einen bereits ausgeprägten Schutzfaktor mitnehmen und sie robuster sind.
h) Phals und viele andere Gattungen werden bei uns so deflaskiert, dass sie in bügelfeuchtes Neuseelandsphagnum kommen, eingetopft und sofort in einer V-Tüte eingeschweißt werden. Die trockenen Platten des Neuseeland-Sphagnums werden mit Osmosewasser aufgelöst, dazu kommen die Mikrosalze und Makrosalze des Nährbodens, VitB-Komplex, Fe-EDTA + der geeigneten Grunddüngung mit ausgeglichener NPK-Bilanz, plus noch das und jenes - macht ca. 300µS und für die hungrigen (und das sind Phals !!) ca. 600 µS. Darin stehen die Pflanzen dann für Monate ohne betreut werden zu müssen. Kein Sprühen, kein Gießen. Je sauberer man arbeit, desto geringer ist das Risiko, dass sich Keime einschwindeln und die Pflanze schädigen. Diese Methode hat sich bei vielen Gattungen bewährt, Angraekoide, Disas, manche Dendrobien kann man mit dieser Methode aber auch erfolgreich umbringen. Dafür gibt es andere Methoden.
--
Generell möchte ich aber betonen, wie halten keine deflaskierten Orchideen. Außer einer vernachlässigten IKEA-Hybride gibt es hier nichts. Alles an deflaskierfähigem Material gelangt zu eigenen Stellen innerhalb Europas, die das Etablieren übernehmen.
Wir mögen keine Orchideen halten, uns nicht mit Gießen, Sprühen, Umtopfen, Giften, Beschatten, Befeuchten, Heizen, Suchen nach Urlaubsbetreuung … aufhalten und uns an Orchideen dieserart zeitlich, räumlich ketten. Ich bedauere Euch zutiefst und bewundere zeitgleich, welches Mühen Ihr auf Euch nehmt, um hinterher mit Blüten belohnt zu werden. Kehrseite der Medaille ist hier somancher Nachtdienst, wie Ihr von der geposteten Uhrzeit unschwer erkennen könnt. Manches in einem Labor verlangt unverzüglichen Handlungsbedarf, Aufschub geht nicht.
Was hier interessiert & fasziniert, ist der teils komplexe Vermehrungsmodus der Orchidee und die Laborarbeit unter sterilen Bedingungen, das Spielen und Tricksen mit Meristemgewebe, das Steuern von Sämlingen über Nährböden … und die Unterstützung der Ziele des Artenschutzes als Labor für die ex-situ-Konservierung.
Das Festhalten und Dokumentieren des Mikrokosmos des Samens oder der ersten Phasen der Keimung bieten eine ganz eigene Faszination, die man, einmal erlebt und immer wieder hier stattfindend, nicht mehr missen möchte.
[Sie müssen registriert oder eingeloggt sein, um diesen Link sehen zu können]Fotografie A. Pischeli / JenaIm Grunde leisten wir eine Vorarbeit für Euer Hobby und daher interessiert es nat., wie die Kultivateure ex-vitro damit zurechtkommen, wo Schwierigkeiten gegeben sind, wo/wann/wie Ausfälle stattfinden und wodurch bedingt. Lob freut nat. auch, wird angenommen, aber in Maßen.
Selbstverständlich baut man zu den betreuten in-vitro Sämlingen eine gewisse Beziehung auf, hat man sie doch 4 – 6 Mal mit der Pinzette in der Hand, bewertet den Status, steuert ihre Weiterentwicklung und verbringen sie in einem Labor gut 2 Jahre und mehr, bis sie als *fertig* abgegeben werden. Dann kommen sie weg und man sieht ihnen gerne nach und hofft, vertraut, dass sie gut behandelt werden und überleben.